EDITORIAL NO 49

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

entgegen immer wieder aufkeimender Vorurteile zu einer unengagierten und unpolitischen Jugend hat die EU-Wahl einmal mehr das Gegenteil bewiesen. Die 16- und 17-Jähri- gen durften erstmals bei der Zusammensetzung des EU-Par- laments mitentscheiden und haben ihr Wahlrecht genutzt. Das ist positiv. Weil es zeigt, dass es mit dem Abgesang auf die Demokratie dann doch noch nicht so dramatisch ist, wie allenthalben beschworen. Die jungen Menschen wollen etwas verändern, wollen, dass Politik etwas Grundlegendes verändert. Die Forderungen nicht nur der „letzten Genera- tion“ nach einer rigorosen Umkehr hin zu einer gerechteren Verteilung und nachhaltigem Umweltschutz sind richtig und finden dennoch keinen Nachhall. Ganz im Gegenteil.

Die Politik wischt diese Forderungen mit Totschlagsargu- menten vom Tisch, die schon lange nicht mehr verfangen. Immer geht es dabei um die Stärkung des Wirtschaftsstand- orts Deutschlands und den Erhalt des Wohlstandes, in ei- nem Land, das von der Politik systematisch über Jahrzehnte hinweg kaputtgespart wurde und mit maroder Infrastruktur glänzt. Ja, die wirtschaftliche Stärke Deutschlands ist ele- mentar, um einen gewissen Wohlstand zu bewahren. Aller- dings geht das einher mit der grundlegenden Transformati- on der Wirtschaft und der Abkehr der alten Industrien. Das Bewahren des Alten ist töricht. Das ist hinlänglich in Studien belegt.

Und obwohl die Politik die Bürgerinnen und Bürger längst darauf einschwört, dass sich die „fetten Jahre“ dem Ende zu- neigen, Verzicht als gelobte Tugend gelebter Alltag werden muss, ist es eben das Gros der „Alten“ jenseits der 27 Jah- ren, die jede Veränderung brandmarken und schön an dem festhalten wollen, was ihr Leben so angenehm und schön zu machen scheint.

Weniger reisen, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren? Mit Verweis darauf, dass man sich was gönnen will und die letz- ten Paradiese vor deren menschenherbeigeführten Unter-

gang auch noch mal besucht und gesehen haben will, rekla- miert man sein individuelles Recht auf noch mehr Reisen – mit allen beschleunigt-bitteren Folgen, die nicht erst beim Weihnachtshochwasser in Niedersachsen, der Frühlingsflu- tung des Saarlandes oder dem „Untergang“ Bayerns dieser Tage selbst dem größten Ignoranten offenbar werden sollten.

Fakt ist mal: Die unbeschwerte Party ist vorbei, der Tanz auf dem Vulkan als letztes Aufbäumen längst eingeläutet. Wir alle haben keine Zeit mehr zu verschenken, um uns zu win- den und der Abkehr vom Alten irgendwie noch ein Haken zu schlagen.

Die Politik macht grundsätzlich Politik für Mehrheiten, weil man mit denen schließlich Wahlen gewinnt. Die jugendli- chen 1,7 Prozent Erstwähler bei der EU-Wahl schlagen da nicht wirklich ins Kontor – selbst wenn sie sich alle mit ihrer Stimme gegen das Etablierte gestellt hätten. Wir, die wir seit Jahrzehnten nach dem Motto „immer mehr, immer weiter, immer größer“ leben, sind gefordert, durch politische Wil- lensbildung im demokratischen Prozess die notwendige Ver- änderung herbeizuführen, um unseren Kindern und Enkeln eine Zukunft unterhalb den Zwei-Grad-Brandmarke zu er- möglichen.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen